Es gibt rund 1400 Pflanzen, die im weitesten Sinne als Misteln bezeichnet werden. Die hier dargestellten Krebsmedikamente werden aber ausschließlich aus der weißbeerigen Mistel (Viscum album L.) hergestellt.
Die weißbeerige Mistel wächst auf Laub- und Nadelbäumen. Besonders häufig kommt sie auf Pappel und Apfelbaum, aber auch auf Ahorn, Birke, Linde, Robinie, Weide, Weißdorn, Mandel und – selten – auf Eiche und Ulme vor. Bei den Nadelbäumen bevorzugt sie Kiefern und Tannen.
Sie ist in ganz Europa zu Hause, aber auch in Nordafrika und im Vorderen Orient. In Asien hat die Mistel gelbe bis orangefarbige Beeren (Viscum coloratum). In Nordeuropa wächst sie nur selten, weil sie extremen Frost unter -20 °C nicht übersteht. Im Süden beschränken zu starke Sonneneinstrahlung und Trockenheit ihr Vorkommen. Die seltenen Eichenmisteln wachsen vor allem in Frankreich, außerdem werden sie in der Schweiz kultiviert.
Die Mistel weist in Wachstum, Entwicklung und Vermehrung viele Eigenarten auf, die sie von den "normalen" Pflanzen abhebt. Rudolf Steiner, den Begründer der Anthroposophie, hat das schon Anfang des 20. Jahrhunderts unter anderem dazu veranlasst, die Mistel als Heilpflanze in der Krebstherapie zu empfehlen.
Wenn ein Mistelembryo auskeimt, schiebt er als erstes einen dünnen Stängel vor. Daran entwickelt sich eine Haftscheibe, mit der er sich an der Baumrinde festhält. Aus der Mitte dieser Haftscheibe wächst nun ein Saugrohr (Haustorium) hervor, das sich durch die Baumrinde bis in die Keimschicht (Kambium) schiebt und von dort einen Senker ausbildet. Von nun an nimmt die Mistel Wasser, Mineralien und Nährstoffe über den Senker auf, also indirekt über die Wurzeln des Wirtsbaums.
Wenn der Umfang des Baumstammes im Laufe der Jahre zunimmt, wächst der Senker nach außen mit und wird immer mehr vom Holz des Baumes umschlossen. Dadurch wird die Mistel immer tiefer im Stamm verankert, ohne selbst in die Tiefe zu wachsen.
Etwa im Spätsommer hat ein im April ausgekeimter Mistelembryo im Holz des Baumstammes mit seinem Senker festen Halt gefunden. Nun ruht der Keim wiederum bis April des Folgejahres. Erst dann beginnt er, sich aufzurichten und aus der Spitze zwei grüne Blättchen auszutreiben. Anschließend folgt wiederum eine einjährige Ruhepause. Erst vier Jahre nach dem ersten Austreiben wachsen aus der Mitte des Triebes drei neue Stängel: zwei seitlich und einer in der Mitte, jeder mit zwei Blättchen. Von nun an entstehen in jedem Frühjahr neue Stängel und Blättchen, aber immer nur in den Achseln der Vorjahrestriebe. Die zentrale Knospe wird zum Blütenstand.
Männliche Mistelblüten bergen auf jedem Blütenblatt unzählige Staubgefäße mit Blütenpollen.
Fliegen, aber auch Bienen, Hummeln und Käfer sind die wichtigsten Bestäuber für Mistelblüten.
Die weißen Mistelbeeren enthalten 1-3 Embryonen, aus denen die nächsten Mistelpflanzen auskeimen.
Die Mistel ist eine zweihäusige Pflanze, das heißt, männliche und weibliche Blüten wachsen getrennt voneinander auf zwei Pflanzen. Misteln blühen erst nach fünf bis sieben Jahren zum ersten Mal, jahreszeitlich allerdings weit vor den meisten anderen Pflanzen: im Winter, zwischen Februar und März.
Ihre Blütenstände sondern eine Art Nektar mit orangenähnlichem Duft ab, der Fliegen, Bienen, Hummeln, Ameisen und viele andere Insekten anlockt, die für die Bestäubung sorgen. Nach der Befruchtung ruhen die weiblichen Blütenstände bis ungefähr Ende Juni. Dann entwickeln sich langsam die Früchte mit dem innenliegenden grünen Embryo, bis sie zu Advent, Anfang Dezember, reif sind und als weiße Scheinbeeren aufleuchten. Wie beim Menschen dauert es insgesamt neun Monate, bis der Keim ausgereift ist. Er ist kein robuster Samen, sondern ein sofort keimfähiger Embryo, der in grünes Nährgewebe eingebettet ist. Zum Überleben ist er auf Licht angewiesen, das die transparente Beerenhülle und das gallertige Fruchtfleisch gut durchdringen kann.
Um austreiben zu können, ist der Keim darauf angewiesen, dass ein Vogel ihn aus der Beere freisetzt. Vor allem zwei Vogelarten sind darauf spezialisiert: die Misteldrossel und die Mönchsgrasmücke – jede auf ihre Art. Die Drossel frisst in den Wintermonaten die reifen Beeren und scheidet die grünen Mistelembryonen über den Kot unverdaut wieder aus. Die an den Embryonen haftenden klebrigen Reste der Frucht lassen sie gut auf Ästen und Zweigen haften. Die Mönchsgrasmücke ist ein Zugvogel, der im März aus dem Süden nach Europa zurückkehrt. Sie pickt die Beeren, die von den Misteldrosseln noch nicht aufgefressen worden sind, von den Mistelbüschen ab, frisst aber nur die saftige Hülle. Den grünen Embryo klebt sie dabei auf Äste und Zweige des Wirtsbaumes, wo sie ganz in der Nähe der Mutterpflanze auskeimen können. Der Embryo ist äußerst robust: Er kann den ganzen Winter über auf einem Ast in seiner schleimig-klebrigen Hülle liegen bleiben, bis er – meist im April – austreibt.
Bei der Wahl ihrer Wirtsbäume sind die Mistelkeime von Nadelhölzern besonders wählerisch: Kiefernmisteln wachsen nur auf Kiefern, Tannenmisteln nur auf Tannen. Laubholzmisteln sind weniger anspruchsvoll. Sie keimen auch auf anderen Laubgehölzen als die Mutterpflanze, nicht aber auf Kiefern oder Tannen.
Nicht ohne Grund schrieb der Botaniker Karl von Tubeuf Anfang des 20. Jahrhunderts in seiner Mistel-Monographie: „Nichts an dieser Pflanze ist normal“. Denn die Mistel unterscheidet sich in allen wesentlichen Merkmalen von "normalen" Pflanzen:
Ein Mistelkeim streckt seine "Füßchen" aus – mit deren Haftscheiben kann er sich auf dem Ast festhalten und weiter austreiben.
Erst nach zwei Jahren zeigen sich – wie hier an diesem Trieb – die ersten Blättchen. Daneben zeigt sich eine einjährige kleine Mistelpflanze.
Ein prachtvoller Mistelbusch – er ist schon mehrere Jahre alt und treibt in alle Richtungen aus, so dass er mit der Zeit seine kugelförmige Gestalt ausprägt.